Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 
Sie befinden sich hier: volksbuehne-berlin.de | Deutsch | Spielplan | Dark Star

Dark Star

von René Pollesch


Ich bin viel Wellenreiten gegangen, Lucky, ich war ein guter Surfer. Die Wellen in Malibu und Zuma sind so phantastisch im Frühling. Ich weiß noch, wie ich im Frühling immer früh morgens den Strand entlang lief, mit Surfbrett und Tauchjacke und die Wellen stiegen steil auf, weißt du, hoch und glasklar. Du bist kaum im Wasser, da schießt du schon so eine Wasserwand herunter und brauchst nur weiterzureiten, unvergleichlich! Weißt du, das Surfen, ja? Der ganze Fortschritt der Menschheit, die ganze Geschichte der Menschheit, ist eine Bewegung nach Westen, und dann in Kalifornien, ja? Da ging es einfach nicht weiter, die letzte Grenze der westlichen Welt ist der Pazifik, und an dieser letzten Mauer, der Mauer des Pazifik, bricht im 20. Jahrhundert die Welle, also ich weiß, wovon ich rede, ich kenne die, die Welle der Expansion, und schwappt zurück in psychedelische Innenwelten, in die Innenwelten der Hippies und der Nerds, Phantasien von globaler Verständigung und der Erlösung durch Technologie. Und das alles in San Francisco und Palo Alto und Silicon Valley. Ja, ich surfe jetzt auch. Die Natur, die Natur und das Wasser, die hab ich irgendwie weggelassen, ich weiß nicht, aber das Surfen, dieses Erlebnis, das die Technologie bietet, die Welle, die über Palo Alto bricht. Und jetzt hier, diese Hippies, milliardenschwere Selbstverwirklicher. Kiffer und Wellenreiter. Ja, natürlich gibt es auch den Universalismus Hollywoods, wer weiß das besser als wir, die drei Amigos, aber der kalifornische Universalismus, da kann man nicht ignorieren, woher der kommt. Nein, es ist die spezifische kalifornische Kulturgeschichte, die sich dann verlängert hat in jeden Winkel der Welt. Weißt du, ich wünschte mir, ich hätte mein Brett jetzt hier. Und wenn es nur wäre, um es ab und zu mal einzuwachsen.
Es fängt immer alles an mit einer praktischen Idee, die dann Ideologie wird. Also zum Beispiel diese Idee, über einen Katalog zu verfügen, in dem steht, wie man einen Kamin baut... hör jetzt mal auf mit dem Gras, Mann... wie man einen Kamin baut, wie Solartechnik funktioniert... also im Grunde genommen, dass man alles Wissen zugänglich macht, und sich dadurch die Probleme auf diesem Planeten wie von selbst erledigen, und das wird dann Google. Versteht ihr. Alles verwandelt sich in eine Hippiekommune.
Aber du kannst kein Buch für eine Kommune machen. Experimentelle Lebensformen, das sind auch die Trailercamps der Verarmten. Die lesen zwar nicht, trotzdem muss das drin sein, dass sie mal ein Buch aufschlagen und es fünf Sekunden ansehen. Das ist auch lesen. Ich hab nämlich neulich mit jemandem geredet, mit jemandem, die schwanger war, die hat sich gefragt, ob sie nach der Geburt Zeit und die Nerven hat, um zu lesen. Ne halbe Stunde am Tag oder so. Und da hab ich gesagt, man muss jetzt auch nicht zu viel halten vom Lesen. Man klappt das Buch auf und kuckt rein, dann ist das Lesen. Und mehr muss man vielleicht gar nicht verlangen von der Sache. Wann geht denn Lesen los? Man liest Bücher durch und Bücher durch und hat nichts verstanden. Oder man hat alles verstanden. Man kuckt rein... und es sieht so aus wie Lesen und dann ist es auch Lesen. Und dann stellt man sich einen Wecker hin und macht vielleicht ne halbe Stunde oder zehn Minuten reichen ja auch. Und es sah so aus wie lesen und es war auch lesen.

Spieldauer: 1 Stunde 45 Minuten
 

  

Mit: Christine Groß, Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke

Text und Regie: René Pollesch
Raum: Bert Neumann
Bühne: Barbara Steiner
Kostüme: Nina von Mechow
Licht: Frank Novak
Kamera: Ute Schall
Ton: Gabriel Anschütz, Klaus Dobbrick
Tonangel: William Minke
Soufflage: Tina Pfurr
Dramaturgie: Anna Heesen

//